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Nierenlebendspende, chronisches Erschöpfungssyndrom bzw. Neurasthenie, Verletztenrente

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz – L 3 U 233/18 -17.01.2023

Berufung der Unfallkasse auf das Urteil des SG Speyer (S 11 U 40/15) zurückgewiesen.

Leitsatz:
Der „Spätschaden“ i.S.d. § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist dadurch gekennzeichnet, dass er zeitlich nach der Spende einschließlich der unmittelbar danach stattfindenden Behandlung eintritt.

Auf den zeitlichen Abstand des Schadenseintritts zur Lebendorganspende kommt es nicht an.

Der Begriff des Spätschadens schließt den des Erstschadens ein, er bezeichnet nicht nur Folgeschäden einer bereits eingetretenen Schädigung. § 12 a Abs. 1 Satz 2 SGB VII kann entgegen seiner sprachlichen Fassung nicht dahin verstanden werden, dass die Anwendung der Vermutungsregelung die vorherige Feststellung eines ursächlichen Zusammenhangs des Gesundheitsschadens mit der Lebendorganspende voraussetzt.

Die Vermutungsregelung ist einschränkend dahin auszulegen, dass sie nur anwendbar ist, wenn die Spende nach aktueller medizinisch-wissenschaftlicher Kenntnis generell geeignet ist, den in Rede stehenden Schaden zu verursachen. Es gilt der allgemeine beweisrechtliche Grundsatz, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, der nicht zwingend das Bestehen einer anerkannten medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung voraussetzt, aufbauen muss.

Der aktuelle Kenntnisstand erlaubt die Feststellung der generellen Geeignetheit der Lebendnierenspende zur Verursachung länger andauernder Erschöpfungssyndrome.

Datum: 17.01.2023

Gericht: Landessozialgericht Rheinland-Pfalz

Spruchkörper: 3. Senat

Entscheidungsart: Urteil

Aktenzeichen: L 3 U 233/18 (nach S 11 U 40/15)

ECLI: DE:LSGRLP:2023:0117.L3U233.18.00

Sachgebiet: Unfallversicherung

Rechtskraft: rechtskräftig – Berufung der Unfallkasse durch das LSG Rheinland-Pfalz zurückgewiesen (AZ: L 3 U 233/18) – keine Revision erfolgt

Tenor:

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 8.10.2018 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte unter entsprechender Änderung des Bescheids vom 22.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.1.2015 verurteilt wird, der Klägerin ab dem 1.8.2012 eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zu gewähren.
  2. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
  3. Die Revision wird zugelassen (Nicht erfolgt).

 

Stellungnahme IGN

Anders als das SG sieht das LSG jedoch kein Fatigue-Syndrom als Folge der Nierenlebendspende, sondern eine sogenannte „Neurasthenie“.

Diese will der Gerichtsgutachter (Neurologe) bei der Klägerin erkannt haben. Neurasthenie wird in der Literatur nicht immer einheitlich definiert und weist einige Überschneidungen mit dem chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS) auf. Im ICD-10 werden die Neurasthenie und das CFS jedoch unter einzelnen Ziffern aufgeführt. Im ICD-11 wird die Neurasthenie unter dem Begriff „Bodily distress disorder“ (engl. für „Störung der körperlichen Belastung“) subsumiert.

Mit dieser „Diagnose“ verteidigt der Gutachter die These, dass es sich bei der Erschöpfung nach dem Nierenverlust um eine „Nervenerkrankung“ handelt. Dem widerspricht die Studienlage. So hat z. B. eine schwedische Studie gezeigt, dass die Gründe für die Fatigue nach Nierenlebendspende auch im Entzündungsgeschehen nach einer Bauch-OP verbunden mit der erniedrigten Nierenfunktion liegen.

Das Gutachten wies zudem erhebliche fachliche Mängel auf. So wurden z. B. Studien zur Leberlebendspende zitiert, sowie andere Studien nachweislich verkürzt und falsch widergegeben. Mit Hilfe der Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e. V. konnte der Klagevertreter das Gutachten in vielen Teilen entkräften.

Das Gericht anerkennt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 % (MdE 20) in Folge der Nierenlebendspende an.

Pressemeldung des LSG

Hier geht es zum vollständigen Urteil

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