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Nierenlebendspende, CFS, Niereninsuffizienz,
Bluthochdruck Anwendung

§ 12a SGB VII Sozialgericht Stade, S 7 U 43/15 – 15.04.2021

1. Der Bescheid vom 09. November 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2015 und der Bescheid vom 02. März 2021 werden abgeändert und die Beklagte verurteilt, ein CFS als Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen und dem Kläger ab 1. März 2011 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 vH zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Widerspruchsverfahrens und 1/3 der außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu erstatten.

Aus dem Urteil:

Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 26 Abs 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch — Gesetzliche Unfallversicherung -, SGB VII) sind dann zu gewähren, wenn ein Versicherungsfall eingetreten ist. Nach § 7 Abs 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind Unfälle, die Versicherte infolge einer den Versicherungs-schutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 SGB VII gilt als Versicherungsfall im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB VII bei Versicherten nach § 2 Abs. 1 Nr. 13b SGB VII auch der Gesundheitsschaden, der über die durch die Blut-, Organ-, Organteil- oder Gewebeentnahme regelmäßig entstehenden Beeinträchtigungen hinausgeht und in ursächlichen Zusammenhang mit der Spende steht. Werden dadurch Nachbehandlungen erforderlich oder treten Spätschäden auf, die als Aus- oder Nachwirkungen der Spende oder des aus der Spende resultierenden erhöhten Gesundheitsrisikos anzusehen, wird vermutet, dass diese hierdurch verursacht worden sind (§ 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Dies gilt nicht, wenn offenkundig, dass der Gesundheitsschaden nicht im ursächlichen Zusammenhang mit der Spende steht.

Bei dem Kläger ist durch die Organspende eine chronische Niereninsuffizienz Grad III der noch verbliebenen Niere und ein Bluthochdruck entstanden, den die Beklagte bereits als Folgen des Versicherungsfalls anerkannt hat. Darüber hinaus ist bei dem Kläger ein Gesundheitsschaden in Form eines CFS entstanden. An dem Vorliegen eines CFS hat die Kammer keinerlei Zweifel. Die Diagnose eines CFS wurde durch den Allgemeinmediziner R., Prof. H. und Dr. P. gestellt. Hinweise für eine Aggravation oder Simulation finden sich bei dem Kläger nicht. Die von Frau Dr. Wo. und auch Dr. We. geäußerten Zweifel am Vorliegen eines sogenannten CFS beziehen sich auf die Diagnose eines CFS an sich. So hat Frau Dr. Wo. wie auch später Dr. We. ausgeführt, dass es sich bei dem CFS eher um einen Beschwerdekomplex als um einen objektivierbaren, abgrenzbaren und unzweideutig zu diagnostizierenden Unfallschaden handele.

Diese Kritik an der Diagnose vermag die Kammer nicht zu teilen. Das CFS wurde unter der Ziffer G93.3/F48.0 in den ICD-10 aufgenommen. Es handelt sich um eine anerkannte Erkrankung, die danach auch als Folge eines Arbeitsunfalls anerkannt werden kann. Zur Überzeugung der Kammer hat der Kläger im Nachgang zu der Lebendnierenspende ein CFS entwickelt. Aufgrund der Regelung des § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII wird die Lebendnierenspende als ursächlich für die Entwicklung des CFS angesehen. Nach den medizinischen Erkenntnissen besteht die Möglichkeit der Entwicklung eines CFS nach einer Lebendnierenspende (so auch SG Speyer, Urteil vom 8. Oktober 2018, Az. 11 U 40/15), so dass die Voraussetzungen des § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. Entgegen der von der Beklagten und anderen (SG Detmold Urteil vom 29. Januar 2016, Az. 24 KR 314/13, Schönberger/MehrtensNalentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, Seite 1024) vertretenen Auffassung bedarf es nicht allgemein anerkannter medizinischer Erfahrungssätze (so auch Ricke in: Kassler Kommentar § 12a SGB VII RdNr. 8), nach denen eine Lebendnierenspende generell geeignet ist, ein CFS zu verursachen. § 12a SGB VII wurde durch Artikel 2c des Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes vom 21. Juli 2012 eingeführt.

In der BT-Drucksache 17/9773 heißt es hierzu, dass der im Gesetz vorgezeichnete Weg über die gesetzliche Unfallversicherung konsequent weitergeführt werde und der Gesetzgeber eine Empfehlung der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin des Deutschen Bundestages in ihrem Zwischenbericht vom 17. März 2005 (Drucksache 15/5050) gefolgt sei, Die Enquete-Kommission hatte gefordert, dass der Unfallversicherungsschutz das gesamte gesundheitliche Risiko des Organspenders im Zusammenhang mit der Organspende absichern solle und hatte auf in der Regel vorliegende erhebliche Beweisprobleme hingewiesen (BT-Drucksache 15/5050, Seite 62). Die von der Beklagten und anderen vorgenommene Auslegung der Norm, nach der die gesetzliche Vermutung des § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII voraussetzt, dass nach dem Stand der allgemein medizinischen Lehrmeinung die Spende generell geeignet ist, den konkreten Spätschaden zu verursachen wiederspricht, zum einen dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm und zum anderen dem Willen des Gesetzgebers, wie er in der BT-Drucksache zum Ausdruck gekommen ist.

Zutreffend ist, dass die Ursache eines CFS ungeklärt und Gegenstand verschiedener Studien ist. Indes ist der Umstand, dass sich ein CFS nach einer Nierenlebendspende entwickeln kann von zahlreichen Ärzten und Studien geschildert worden (Giessing et al. DMW (2004), Seite 1047 ff., Reimer et al. Transplantation (2006), 81 (9): 1268-73, Meier et al., BMC Nephrology (2016) 17:8, Rodrigue et. Al., J Clin Psychol med Settings (2015) 22: 160-168).

Danach ist auch das CFS neben der chronischen Niereninsuffizienz und dem Bluthochdruck als Folge des Versicherungsfalls anzuerkennen und zu entschädigen.

Anmerkung:

Ein weiteres Sozialgericht Urteil bestätigt deutlich den Gesetzgeberwillen, Organlebendspender, die in Folge des Organverlustes einen Schaden erleiden, weitestgehend abzusichern. Wiederum wird das Chronic-Fatigue-Syndrom als mögliche Folge einer Nierenlebendspende anerkannt. Darüber hinaus bestätigt das SG Stade, dass die durch die Nierenentnahme eingetretene Niereninsuffizienz im Stadium III einen Folgeschaden der Nierenlebendspende darstellt, genauso wie der eingetretene Bluthochdruck.

Insbesondere die Anerkennung der Niereninsuffizienz im Stadium III als Folge der Nierenlebendspende, stellt die Transplantationsmedizin vor erhebliche Probleme. Je nach Studie sind zwischen 1/4 (Fehrman-Ekholm et al.) und 1/2 (Thiel et al.) der Nierenlebendspender nach der Spende chronisch nierenkrank und haben Anspruch auf eine entsprechende Unfallrente. Oder anders formuliert: Die Transplantationsmedizin operiert gesunde Menschen wissentlich zu Lasten der Unfallkassen krank. Es ist an der Zeit, die Untergrenze für die GFR von 60 ml/min nach der Nierenentnahme zu akzeptieren.

Datum: 15.04.2021
Gericht: Sozialgericht Stade
Spruchkörper: 7. Kammer
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: S 7 U 43/15
ECLI:
Sachgebiet: Unfallversicherung
Rechtskraft: rechtskräftig durch übereinstimmende Erledigungserklärungen vor dem LSG Niedersachsen-Bremen am 21.11.2022 (L 14 U 67/21)
Tenor: Bei dem Kläger ist durch die Organspende eine chronische Niereninsuffizienz Grad III der noch verbliebenen Niere und ein Bluthochdruck entstanden, den die Beklagte bereits als Folgen des Versicherungsfalls anerkannt hat. Darüber hinaus ist bei dem Kläger ein Gesundheitsschaden in Form eines CFS entstanden. An dem Vorliegen eines CFS hat die Kammer keinerlei Zweifel.

Aufgrund der Regelung des § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII wird die Lebendnierenspende als ursächlich für die Entwicklung des CFS angesehen. Nach den medizinischen Erkenntnissen besteht die Möglichkeit der Entwicklung eines CFS nach einer Lebendnierenspende (so auch SG Speyer, Urteil vom 8. Oktober 2018, Az. 11 U 40/15), so dass die Voraussetzungen des § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. Entgegen der von der Beklagten und anderen (SG Detmold Urteil vom 29. Januar 2016, Az. 24 KR 314/13, Schönberger/Mehrtens/Nalentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, Seite 1024) vertretenen Auffassung bedarf es nicht allgemein anerkannter medizinischer Erfahrungssätze (so auch Ricke in: Kassler Kommentar § 12a SGB VII RdNr. 8), nach denen eine Lebendnierenspende generell geeignet ist, ein CFS zu verursachen.

Hier geht es zum vollständigen Urteil.

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