2015 – The Course and Predictors of Health-Related Quality of Life in Living Kidney Donors: A Systematic Review and Meta-Analysis
Quelle: American Journal of Transplantation 2015; 15: 3041–3054 doi: 10.1111/ajt.13453
Der Verlauf und die Vorhersagen der gesundheitlichen Lebensqualität von Nierenlebendspendern: Eine systematische Übersicht und Meta-Analyse
Autoren: L. Wirken, H. van Middendorp, C. W. Hooghof, M. M. Rovers, A. J. Hoitsma L. B. Hilbrands and A. W. M. Evers
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Unsere Anmerkung vorab:
Die Autoren haben 34 prospektive Studien überprüft, die sich mit dem Verlauf und der Vorhersage der Lebensqualität von Nierenlebendspendern beschäftigen. Untersucht worden folgende Kriterien:
1. Körperliche Funktion
– Körperliche Beeinträchtigung
– Schmerzen
– Müdigkeit (Fatigue)
2. Psychische Funktion
3. Soziale-Relationale Funktion (Sozialverhalten, -beziehungen etc.)
Ergebnis: Die Lebensqualität vieler Nierenlebendspender ist nach der Spende langfristig niedriger als vor der Spende.
Nach Auswertung der Studien ergab sich für die untersuchten Kriterien ein ähnlicher, wenn auch unterschiedlich starker Verlauf. Unmittelbar nach der Spende tritt eine Verschlechterung ein, um dann zum Ursprung zurück zu kehren. Im langfristigen Verlauf ergibt sich dann wieder eine Verschlechterung. Betont sei, dass es sich um Durchschnittswerte handelt. Die Autoren ziehen dann aus dem Vergleich der langfristigen Werte mit der Allgemeinbevölkerung den Schluss, dass Nierenlebendspendern eine hohe gesundheitliche Lebensqualität haben. Natürlich ist auch hier der immer noch gerne vollzogene Kunstgriff „Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung“ schlicht falsch. Betrachtet man die Daten im Verlauf isoliert für Nierenlebendspender, wird deutlich, dass der Spender durch den Verlust einer Niere im Durchschnitt langfristig negative Folgen hat. Dies beinhaltet Spender mit keinen oder geringen Einschränkungen, aber auch Spender mit spürbaren oder sogar schweren Einschränkungen. Denn Nierenlebendspender sind als vorselektierte Gruppe weder vor noch nach der Spende, mit der Allgemeinbevölkerung vergleichbar.
Zwar behaupten die Autoren in ihrer Zusammenfassung, dass der negative Verlauf vorwiegend bei Spendern mit präoperativen psychischen Problemen auftritt, schreiben aber auf Seite 3049, dass auf Grund der begrenzten und nicht eindeutigen Verlaufsergebnisse der Studien keine sicheren Schlüsse gezogen werden können. Letztendlich geben sie die häufige Schutzbehauptung der Transplantationsmediziner wieder, dass psychisch von der Norm spürbar abweichende Menschen unter den Folgen der Spende besonders leiden würden. Dies allerdings deckt sich nicht mit dem Evaluationsanspruch der Transplantationsmedizin, wonach gerade diese Fälle erkannt und ausgeschlossen werden sollten. Hier schreiben die Autoren, dass durch weitere Studien Methoden entwickelt werden sollten, die diese präoperativen Risiken erkennen können.
Richtig interpretiert bestätigt diese Meta-Analyse im Ergebnis von 34 prospektiven Studien, dass eine Nierenlebendspende zu langfristigen gesundheitlichen Einschränkungen und Problemen führen kann. Bemerkenswert ist, dass 50 % der untersuchten Studien langfristig eine gegenüber der präoperativen Lebensphase erhöhte Müdigkeit nach Nierenlebendspende beobachtet haben. Auch hier greift der Vergleich zur Allgemeinbevölkerung nicht. Es ist für den einzelnen betroffenen Spender ein schwerer Einschnitt in seine Lebensqualität, unabhängig davon, ob er nun der Norm entspricht oder nicht. Die Ermüdung durch den Nierenverlust, die damit einhergehenden Konzentrations- und Merkprobleme, die sinkende Leistungsfähigkeit etc. bedeuten einen schweren Schaden, verursacht durch die Nierenlebendspende.
Meta-Analyse
Erläuterungen:
HRQoL = Health-Related Quality of Life = Gesundheitsbezogene Lebensqualität
ES = effect size = Effektstärke. Effektgrößen werden bei Metaanalysen berechnet, um die Ergebnisse von verschiedenen Studien in einem einheitlichen Maß – der Effektgröße, oder Effektstärke – miteinander vergleichen zu können. Je kleiner die ES, desto geringer der Unterschied der Ergebnisse.
Die Übersetzungen der Zitate werden ohne Fußnoten Scores widergegeben. Für weiterführende Informationen siehe Originalstudie.
Aus der Studie
Zusammenfassung (Eigene Übersetzung):
Ein besseres Verständnis des Verlaufs und der Risikofaktoren für eine Beeinträchtigung der langfristigen gesundheitsbezogenen Lebensqualität (HRQoL; z. B. physische, psychologische und sozial-relationale Funktionsfähigkeit) nach der Nierenspende könnte Medizinern helfen, die Versorgung von Lebendnierenspendern zu verbessern. Diese systematische Übersicht und Meta-Analyse fasst prospektive Studien zum Verlauf und zur Prognose der von HRQoL bei Nierenlebendspendern zusammen. Studien deuten darauf hin, dass die Spender kurz nach der Spende eine geringere HRQoL aufweisen, mit geringfügigen bis moderaten Veränderungen in der psychologischen und sozial-relationalen Funktion und großen Veränderungen in der physischen Funktion. Nach 3 – 12 Monaten nach der Spende kehrte die HRQoL zu ihrem Ausgangswert zurück oder blieb leicht reduziert, insbesondere bei Müdigkeit. Die Werte waren aber immer noch vergleichbar mit denen der Allgemeinbevölkerung. Die Ergebnisse waren unabhängig von den Operationstechniken stabil. Eine begrenzte Anzahl von Studien hat die Risikofaktoren für eine beeinträchtigte HRQoL untersucht, wobei eine geringe psychologische Funktionsfähigkeit vor der Spende als belastbare Vorhersage galt. Basierend auf diesen Ergebnissen können Ärzte potenzielle Spender darüber informieren, dass Nierenspender im Durchschnitt über eine hohe langfristige HRQoL verfügen; Spender mit einer geringen psychologischen Funktionsfähigkeit zu Studienbeginn sind jedoch diejenigen, die am meisten von einer Beeinträchtigung der langfristigen HRQoL bedroht sind. Künftige Studien sollten sich auf andere potenziell relevante Prädiktoren für die HRQoL nach der Spende konzentrieren, einschließlich der Zulassungskriterien der Spender und der Beziehungen zwischen Spender und Empfänger, um das Screening und die Unterstützung für gefährdete Spender zu optimieren.
Zitate:
S.3044 ff
Study results
Course of HRQoL: The timing of predonation HRQoL assessments was not specified in 16 studies (55 %) and varied between 1 day and 9 months before donation in the other studies. The timing of postdonation assessments varied between 1 month and 6 years after donation.
Studienergebnisse
Verlauf von HRQoL: Der Zeitpunkt der Bewertung der HRQoL vor der Spende wurde in 16 Studien nicht spezifiziert (55 %) und variierte in den anderen Studien zwischen 1 Tag und 9 Monaten vor der Spende. Der Zeitpunkt der Bewertungen nach der Spende variierte zwischen 1 Monat und 6 Jahren.
Physical functioning
Physical disability: During the first 2 months after donation, physical disability was higher than at baseline, with a large ES (_1.03 [95% confidence interval (CI) _1.12 to _0.93]) (9,12,14,47–53). At 3–6 months after donation, physical disability was comparable to baseline (small ES _0.16 [95% CI _0.39 to 0.07]) (2,3,11,23,49–52,54–58); however, long-term physical disability was higher again (small ES _0.12 [95% CI _0.20 to _0.05]) (2,3,9,10,14,23,46,48,49,51,53,59) (see forest plot in Figure S3). Clinically significant changes between pre and postdonation assessments were found during the early postoperative recovery period in all studies but in only 17% of studies long term. Long-term physical disability was comparable to general population norms.
Körperliche Funktionen
Körperliche Beeinträchtigung: In den ersten 2 Monaten nach der Spende war die körperliche Beeinträchtigung höher als zu Beginn, mit einer großen ES. Nach 3 – 6 Monaten nach der Spende war die körperliche Beeinträchtigung vergleichbar mit den Ausgangswerten (geringe ES); jedoch ist die langfristige körperliche Beeinträchtigung wieder höher (geringe ES). Klinisch signifikante Veränderungen zwischen den Werten vor und nach der Spende wurden im frühen Zeitraum nach der Spende während der postoperativen Erholungsphase in allen Studien gefunden, aber nur langfristig in 17 % der Studien. Die langfristige körperliche Beeinträchtigung war mit der Norm der Allgemeinbevölkerung vergleichbar.
Pain: During all postdonation periods, higher pain levels were found than at baseline, with a large ES during the first two postdonation months, and small ESs at the other assessments (ES range: 1.05 to 0.10 [95% CI range (1.31 to 0.80) to (0.18 to 0.02)]) (2,3,9,10,12,14,46,47,49–53,55,56,59) (Figure S4). Clinically significant changes between pre- and postdonation assessments were found in the early postoperative recovery period in all studies but in only 20% of studies long term. Pain levels long term were comparable to general population norms.
Schmerzen: Während aller Nachspendeperioden wurden höhere Schmerzlevel gegenüber den Ausgangswerten festgestellt, mit einer großen ES während der ersten beiden Nachspendemonaten und kleiner ES bei den anderen Bewertungszeiträumen. Klinisch signifikante Veränderungen zwischen den Werten vor und nach der Spende wurden in der frühen postoperativen Erholungsphasen in allen Studien gefunden. Langfristige Veränderungen aber nur in 20 % der Studien. Die langfristigen Schmerzniveaus waren mit der Norm der Allgemeinbevölkerung vergleichbar.
Fatigue: During the first 2 months after donation, higher fatigue levels were found than at baseline, with a large ES (0.93 [95% CI 1.03 to 0.83]) (9,12,14,47,49–53). At 3–6 months after donation, fatigue was comparable to baseline (0.22 [95% CI 0.49 to 0.05]) (3,49–52,55,56); however, long-termfatigue was higher again(smallES0.26 [95% CI 0.35 to 0.18]) (2,3,9,10,14,46,49,51,53,59) (Figure S5). Clinically significant changes between pre- and
postdonation assessments were found in the early postoperative recovery period in all studies and in 50% of studies long term after donation; however, long-term fatigue levels were also comparable to general population norms.
Müdigkeit: In den ersten 2 Monaten nach der Spende wurden höhere Müdigkeitswerte festgestellt als bei der Ausgangsbasis, mit einer großen ES. 3 – 6 Monate nach der Spende war die Müdigkeit vergleichbar mit der Basislinie. Die Langzeitermüdung war jedoch wieder höher (kleine ES). Klinisch signifikante Veränderungen zwischen den Werten vor und nach der Spende wurden in der frühen postoperativen Erholungsphase in allen Studien gefunden. In 50% der Studien langfristig nach der Spende. Jedoch waren die langfristigen Müdigkeitsniveaus mit der Norm der Allgemeinbevölkerung vergleichbar.
Psychological functioning
During the first 2 months after donation, psychological functioning was reduced in comparison to that before donation (small ES 0.22 [95% CI 0.38 to 0.06]) (9,12,14,47–53). At 3–6 months after donation, psychological functioning was comparable to baseline (ES 0.18 [95% CI 0.10 to 0.47]) (2,3,11,23,49–52,54–58,60). Long-term psychological functioning was reduced again (small ES 0.11 [95% CI 0.18 to 0.04]) (2,3,9,10,14,23,46,48,49,51,53,59,61,62) (Figure S6). Clinically significant changes between pre- and postdonation assessments were found in 50%of studies during the early recovery period and in 7% of studies long term afterdonation. Long-term psychological functioning was comparable to general population norms.
Psychische Funktion
In den ersten 2 Monaten nach der Spende war die psychische Funktion gegenüber vor der Spende reduziert (kleine ES). Nach 3 – 6 Monaten nach der Spende war die psychologische Funktion vergleichbar mit der Basislinie (ES 0,18). Langfristig waren die psychischen Funktionen wieder reduziert (kleine ES): Klinisch signifikante Änderungen im Zeitraum vor und nach der Spende wurden in 50% der Studien in den frühen Erholungsphasen festgestellt und in 7 % der Studien langfristig nach der Spende. Die langfristige psychische Funktion war vergleichbar mit der Norm der Allgemeinbevölkerung.
Social–relational functioning
During the first 2 months after donation, social–relational functioning was reduced compared with baseline, with a moderate ES (_0.69 [95% CI _0.78 to _0.61]) (9,12,14,47–53), but similar to baseline for the later periods (ES 0.03 [95% CI _0.16 to 0.22] and 0.04 [95% CI -0.03 to 0.12], respectively) (2,3,9,10,14,46,48–53,55–62) (Figure S7). Clinically significant differences were found during the early postoperative recovery period in 90% of studies but in only 8% of studies long term after donation. Long-term social functioning was comparable to that of the general population.
Sozial-relationale Funktion (Sozialverhalten)
In den ersten 2 Monaten nach der Spende war der Messwert der sozial-relationalen Funktion im Vergleich zur Ausgangsbasis vermindert, mit moderater ES, jedoch ähnlich bezogen zur Ausgangsbasis für die späteren Perioden. (ES 0,03). Es wurden klinisch signifikante Unterschiede während der frühen postoperativen Erholungsphase in 90% der Studien festgestellt. Aber nur in 8 % der Studien langfristig nach der Spende. Das langfristige soziale Verhalten war vergleichbar mit der Allgemeinbevölkerung.
S.3048: In summary, results show that shortly after donation, as expected, donors have an HRQoL reduction in comparison to the level before donation, with small to moderate ESs for psychological and social functioning and large ESs for physical functioning, with scores that correspond with norms for clinically relevant changes. In the short term, HRQoL returned to baseline on all domains except pain, which was still slightly reduced (small ES). In the long term, donors on average showed somewhat reduced physical and psychological functioning compared with functioning before donation (small ES), but levels were comparable to general population norms, and differences between pre- and postdonation assessments were not clinically relevant. In the longer term, slightly elevated scores of fatigue were found in 50% of studies, but fatigue scores were still comparable to general population norms. The individual results of studies that had to be excluded due to missing data were overall in the same line.
Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass die Spender erwartungsgemäß kurz nach der Spende im Vergleich zu vor der Spende eine HRQoL-Reduktion aufweisen, mit geringer bis mittleren ES bezogen auf die psychologischen und sozialen Funktionen und eine große ES für die physischen Funktionen mit Werten, die mit den Normen für klinisch relevante Änderungen übereinstimmen. Nach kurzer Zeit kehrt die HRQoL in allen Bereichen mit Ausnahme der Schmerzen, die noch leicht reduziert waren (kleine ES) zur Ausgangsbasis zurück. Auf lange Sicht zeigten die Spender im Durchschnitt eine etwas eingeschränkte physische und psychische Funktion im Vergleich zur Funktion vor der Spende (kleine ES), aber das Niveau war vergleichbar mit dem der Allgemeinbevölkerung. Die Unterschiede zwischen vor und nach der Spende waren klinisch nicht relevant. Längerfristig wurden in 50 % der Studien leicht erhöhte Werte für Müdigkeit festgestellt, jedoch waren die Ermüdungswerte immer noch vergleichbar mit denen der Allgemeinbevölkerung. Die individuellen Einzelergebnisse der Studien, die aufgrund fehlender Daten ausgeschlossen werden mussten, lagen insgesamt in der gleichen Richtung.
S. 3049ff From the limited and inconclusive results on prospective predictors of long-term HRQoL, no firm conclusions can be drawn, but the most consistent evidence points to low psychological functioning as a predictor for impaired longterm HRQoL and underscores the relevance of screening of psychological functioning and psychiatric history. Consequently, additional counseling might be beneficial for donors with HRQoL scores that differ from general population norms in terms of clinically relevant differences; however, this systematic review clearly indicates that more prospective research in sufficiently sized samples is required to identify relevant HRQoL risk factors at an early stage that may be used to develop and offer interventions to prevent longer term HRQoL problems in living kidney donors.
Aus den begrenzten und nicht eindeutigen Ergebnissen zu den prospektiven Vorhersagen für die langfristige HRQoL können keine sicheren Schlussfolgerungen gezogen werden. Jedoch deuten übereinstimmende Belege auf eine geminderte psychologische Funktion als Vorhersage für beeinträchtigte Langzeitergebnisse der HRQoL hin und unterstreichen die Bedeutung der Überprüfung der psychologischen Gesundheit und psychiatrischer Vorgeschichte. Folglich kann eine zusätzliche Beratung für die Spender wichtig sein, die klinisch relevante, von der Allgemeinbevölkerung abweichende HRQoL-Scores aufzeigen. Diese systematische Überprüfung macht jedoch deutlich, dass mehr prospektive Forschung in ausreichender Größenordnung erforderlich ist, um relevante HRQoL-Risikofaktoren in einem frühen Stadium zu identifizieren. Damit können Maßnahmen entwickelt und angeboten werden, die verhindern, dass es längerfristig zu HRQoL-Problemen bei Nierenlebendspendern kommt.