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Nierenlebendspende wegen
fehlerhafter Aufklärung rechtswidrig

LG Fulda, 10.11.2022 – 3 O 75/20

Haftung nach unzureichender Aufklärung von Organspendern vor einer Lebendspende

Datum: 10.11.2022
Gericht: Landgericht Fulda
Spruchkörper: 3. Zivilkammer
Entscheidungsart: Grund- und Teilurteil
Aktenzeichen: 3 O 75/20
Rechtskraft: Beklagte hat Berufung eingelegt
Leitsätze

Die Klage auf Ersatz des beim Kläger durch die Lebendnierenspende vom ◼◼◼◼◼.2016 verursachten materiellen und immateriellen Schadens ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus der Lebendnierenspende vom ◼◼◼◼◼.2016 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Hier geht es zum vollständigen Urteil 3 O 75/20

Dieses Grund- und Teilurteil stützt sich auf die fehlerhafte Aufklärung über die sinkende Nierenfunktion und die damit verbudenen möglichen gesundheitlichen Risiken nach einer Nierenlebendspende.

Einmal mehr wird deutlich, wie wichtig eine faktenorientierte Aufklärung über die möglichen Folgen der zu erwartenden Nierenfunktionseinschränkung von ca. 30 bis 40 % nach der Spende ist. Das Gericht erwähnt, dass bekannt sei, dass eine Nierenfunktion im Bereich um die 60 ml/min zu Einschränkungen wie Müdigkeit und Leistungsschwäche führen kann.

Aus dem Urteil:

(…)Der Kläger kann Ansprüche gegen die Beklagten jedoch auf eine mangelhafte Aufklärung stützen, die zur Folge hat, dass keine wirksame Einwilligung des Klägers gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) TPG in die Spende vorlag.(…)

(…)Denn die Beklagten haben nicht bewiesen, dass sie den Kläger zutreffend und ausreichend über den tatsächlichen Umfang der Abnahme der Nierenfunktion infolge einer Nierenlebendspende aufgeklärt haben. Die „Patienteninformation und Einverständniserklärung zur Lebendnierenspende“ vom ◼◼◼◼◼◼.2016 als Niederschrift über die Aufklärung im Sinne des § 8 Abs. 2 S. 4 TPG enthält hierzu unter dem Punkt „Informationen zu späten Risiken nach einer Lebendnierenspende“ die Angabe: „Nach mehr als 20 Jahren Einnierigkeit wird eine Abnahme der Nierenfunktion festgestellt, die etwa 10 % über das altersentsprechende Maß hinausgeht. Strittig ist zudem, ob eine Organspende häufiger als üblich zu einem Bluthochdruck führt. Eine Untersuchung an 3124 Patienten aus 48 Behandlungszentren zeigte, dass die einseitige Entnahme einer Niere bei einem gesunden Menschen nicht zu einer Einschränkung der Nierenfunktion führt, jedoch zu einer möglicherweise leichten Erhöhung des Blutdruckes.“ Mit diesen Angaben wurde die mit einer Nierenlebendspende verbundene Abnahme der Nierenfunktion weder ihrem Umfang nach zutreffend noch ausreichend konkret dargestellt und das Risiko, durch den mit der Nierenlebendspende einhergehenden Verlust der Nierenfunktion gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erleiden, nicht ausreichend aufgezeigt.

So hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten in Verbindung mit seiner Stellungnahme vom ◼◼◼◼◼◼.2022 ausgeführt, dass es durch die mit der Spende verbundene Entnahme der Niere zunächst zu einer Reduktion der Nierenfunktion um die Hälfte komme und dass es im postoperativen Verlauf zu einer Hypertrophie der verbleibenden Niere komme, welche 15 – 40 % des Verlusts wieder ausgleiche. Auf der Basis der vor der Spende ermittelten Werte des Klägers ist der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, dass hiernach beim Kläger eine Nierenfunktion von letztlich ca. 59 % der Ausgangsfunktion zu erwarten gewesen sei, mithin ein Verlust von 40 % der vorherigen Nierenleistung, und eine GFR von ca. 66 ml/min, was einer milden chronischen Nierenerkrankung entspreche. Dass mit einer Spende ein derart erheblicher Verlust an Nierenleistung einhergeht und dass die Nierenfunktion nur noch in einem Umfang verbleibt, dem bei einem Nichtspender grundsätzlich ein Krankheitswert beigemessen wird, stellt eine gesundheitliche Folge dar, die für einen potentiellen Nierenlebendspender im Hinblick auf eine Entscheidung über eine Spende durchaus relevant ist. Dies gilt umso mehr unter Berücksichtigung des klägerseits vorgelegten Auszugs aus dem Thieme Lehrbuch für Nephrologie (Anlage K14, Bl. 168 d. A.), dessen Richtigkeit der Sachverständige bestätigt hat. Hiernach sind Patienten bei leicht eingeschränkter Nierenfunktion häufig symptomlos oder klagen über uncharakteristische Beschwerden wie Leistungsschwäche und Müdigkeit. Dies bedeutet jedoch zum einen im Umkehrschluss, dass es insoweit durchaus symptomatische Patienten gibt; zum anderen kann auch das Risiko der vorgenannten unspezifischen Beschwerden für einen potentiellen Spender für seine Entscheidung über die Spende von Bedeutung sein.

All dies lässt sich den Angaben zum Nierenfunktionsverlust in der Niederschrift der Aufklärung vom ◼◼◼◼◼◼.2016 jedoch nicht entnehmen. Die dortigen Angaben suggerieren, dass es erst über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg und auch nur zu einem deutlich geringeren Leistungsverlust – nämlich lediglich rund 10 % – kommt. Darüber hinaus hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Anhörung angegeben, der in der Niederschrift genannte Wert von 10 % für die Abnahme der Nierenfunktion sei etwas zu gering und er nenne seinen Patienten als Wert 10 – 20 %, dies habe man auch bereits im Jahr 2016 gewusst. Hiernach stellte die in der Niederschrift dokumentierte Aufklärung über den Umfang des Nierenfunktionsverlusts die zu erwartenden gesundheitlichen Folgen sowie insoweit mit der Spende verbundene Risiken verharmlosend und unzureichend dar. Dass dem Kläger im Aufklärungsgespräch darüberhinausgehende Informationen erteilt worden wären, haben die Beklagten nicht substantiiert dargelegt und bewiesen. Insbesondere hatte der Beklagte zu 6) keine Erinnerungen an das konkrete Aufklärungsgespräch mit dem Kläger.(…)

 

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