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Nierenlebendspende, Chronic-Fatigue-Syndrom,
Anwendung

§ 12a SGB VIISozialgericht Karlsruhe, S 8 U 2076/16 – 13.02.2020

Bei dem CFS handelt es sich auch um einen Gesundheitsschaden iSv § 12a Abs. 1 SGB VII. Hierunter ist jeder regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustand zu verstehen (Woltjen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 12a SGB VII (Stand: 15.03.2014), Rn. 9), wobei es einer exakten Diagnose der Krankheit bedarf, was i. d. R. die Bezeichnung der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (ICD-10; DSM IV) voraussetzt. Bei  dem CFS handelt es sich nicht nur um unspezifische Befindlichkeitsstörungen. Vielmehr weicht sowohl der körperliche, als auch der geistige Zustand in pathologischer Weise vom Normalzustand ab. Zudem handelt es sich um Gesundheitsschäden entsprechend einem international anerkannten Diagnosesystem, nämlich ICD-10 G93,3 (so auch SG Köln, Urteil vorn 28.03.2019, S 16 U 78/17 — nach juris).

Dabei greift die Vermutungsregelung des § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII nach Ansicht des Gerichts bereits dann ein, wenn belegt durch medizinisch-empirische Erkenntnisse ein begründeter Verdacht eines Zusammenhangs zwischen einer Gesundheitsstörung und einer Organspende besteht (ebenso SG Speyer, Urteil vorn 08. Oktober 2018 — S 11 U 40/15 — nach juris). Die Gegenansicht, nach der die Vermutungsregelung und damit die Beweiserleichterung in § 12a SGB VII voraussetzt, dass nach dem Stand der allgemeinen medizinischen Lehrmeinung die jeweilige Spende generell geeignet sein muss, den konkreten Spätschaden zu verursachen, so dass erst bei Bejahung der generellen Eignung die Kausalität im Einzelfall, d. h. ohne weitere konkrete Prüfung im Einzelfall, fingiert wird (vgl. (SG Detmold, Urteil vorn 29.01.2016, S 24 KR 314/13 — nach juris; Woltjen in: Schlegel/Voeltzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 12a SGB VII, Rn. 42; Kasseler Kommentar/Ricke, 104. EL Juni 2019, SGB VII § 12a Rn. 30 mwN) überzeugt angesichts des Gesetzeszweckes eines umfassenden Spenderschutzes nicht.

Die Voraussetzungen für die Vermutungsregelung des § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII in der hier vertretenen Auslegung sind vorliegend erfüllt. Bereits zum hier maßgeblichen Zeitpunkt im Jahr 2013 bzw. 2015 wurde ein solcher Zusammenhang von verschiedenen Studien nahegelegt bzw.  von mehreren Wissenschaftlern vertreten (Kok et al., Ned Tijdschr Geneeskd. 2007 Jun 16; 151(24):1352-60; Kok et. al., BMJ. 2006 Jul 29;333(7561):221); Schnitzbauer et.al., (2014) Neuregelung zur Lebendorganspende — aus Sicht des Transplantationsmediziners. Der medizinische Sachverständige 3: 112-114; vgl. auch die zitierte Literatur in SG Speyer, Urteil  vom 08.10.2018, S 11 U 40/15 — nach juris). Auch nach den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Z. wurden bereits in den Jahren 2005 und 2006 entsprechende Studien zum Zusammenhang zwischen einer Lebendnierenspende und der Entwicklung eines CFS  durchgeführt. Auch Prof. M. hatte in seinem Gutachten vom 06.10.2011 erläutert, dass das gehäufte Auftreten einer Fatigue bei Nierenspendern in der aktuellen wissenschaftlichen Literatur belegt ist. Schließlich ist auch auf die Ausführungen von Prof. H. zu verweisen, der im  Rahmen des Rechtsstreits der Klägerin vor dem OLG Düsseldorf (1-8 U 115/12) zu Protokoll  gegeben hatte, dass man bereits nach dem Kenntnisstand im Jahr 2007 damit rechnen musste, dass  es aufgrund der Entnahme einer Niere zur Entwicklung einer CFS-Symptomatik wie bei der Klägerin kommen kann und deshalb eine entsprechende Aufklärungspflicht besteht.

Anmerkung:

Dieses sehr deutlich formulierte Urteil bestätigt den Gesetzgeberwillen, nämlich Organlebendspender, die in Folge des Organverlustes einen Schaden erleiden, weitestgehend abzusichern. Das SG Karlsruhe bestätigt ausdrücklich die von uns vertretende Ansicht, dass lt. §12a SGB VII die Unfallkasse in der Beweispflicht ist, dass der eingetretene Gesundheitsschaden nicht im Zusammenhang mit der Organlebendspende steht. Beim sehr häufig auftretenden Fatigue-Syndrom, welches in der Fachliteratur als mögliche Folge des Organverlustes beschreiben wird, ist die Beweisführung, so das Gericht in seiner Begründung, quasi ausgeschlossen, da die Pathogenese noch ungeklärt ist. Insofern ist das Auftreten eines Fatigue-Syndroms nach einer Nierenlebendspende lt. diesem Urteil vom Versicherungsschutz der Unfallkasse abgedeckt.

Datum: 13.02.2020
Gericht: Sozialgericht Karlsruhe
Spruchkörper: 8. Kammer
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: S 8 U 2076/16
ECLI:
Sachgebiet: Unfallversicherung
Rechtskraft: rechtskräftig
Tenor: Denn der Gesetzgeber wollte mit der Einführung des § 12a SGB VII und den darin enthaltenen Beweiserleichterungen für die Spender einen umfassenden Spenderschutz erreichen und eine zuletzt rückläufige Spendenbereitschaft erhöhen. Falls die Beweiserleichterung den Organspendern nun erst bei der Frage der rechtlichen Wesentlichkeit zum Vorteil gereichen würde (also bei der Frage, ob die Organspende als rechtlich wesentliche im Vergleich zu anderen konkurrierenden Ursachen zu werten ist), wäre das Ziel des umfassenden Spenderschutzes verfehlt, denn als beweisschwierig erachtete der Gesetzgeber gerade die Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne.

Hier geht es zum vollständigen Urteil.

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