Der Weg zum Symposium des Bundesministeriums für Gesundheit am 29. Juni 2021
Die Diskussion
Immer wieder kommt die Organlebendspende auf die politische Agenda: Genau genommen die Ausweitung bzw.
„Liberalisierung“ der Organlebendspende. In Deutschland unterliegt die Organlebendspende sehr strengen
gesetzlichen Vorgaben, welche im § 8 des Transplantationsgesetz geregelt sind.
So darf die Organlebendspende nur durchgeführt werden, wenn kein passendes Organ eines/r Hirntoten zur
Verfügung steht. Dies nennt man das „Subsidaritätsprinzip“.
Weiterhin ist die Spende nur unter Verwandten ersten und zweiten Grades, sowie unter Personen, die sich
offenkundig in besonderer Verbundenheit nachstehen, erlaubt.
Der Antrag
Gegen diese Restriktionen findet sich regelmäßigen Abständen immer wieder ein Aufbegehren. Viele
Transplantationsmediziner, aber auch einige Juristen, blenden die komplexe Problematik der gesundheitlichen und
psychosozialen Risiken und der daraus entstehenden kognitiven Dissonanz, dem sogenannten Entscheidungskonflikt,
mehr oder weniger bewusst aus.
Seit 2019 wird die Phalanx der „Liberalisierer“ von der FDP-Fraktion des letzten Bundestages angeführt. Unter
dem Titel „Chancen von altruistischen Organlebendspenden nutzen – Spenden erleichtern“ wurde im Februar 2019
ein entsprechender Antrag in den Bundestag eingebracht. Dieser war zuvor im November 2018 veröffentlicht worden.
Drucksache 19/5673 – 09.11.2018
Die Reaktion
In einem offenen Brief an die Fraktionen des Bundestages und die Bundesregierung reagierten wir am 26. November
2018 auf diesen Antrag und legte unsere Einwände und Positionen dar.
Offener Brief IGN e. V. – 26.11.2018
Besonders die Formulierung, dass es dem Spender möglich sei, „beschwerdefrei oder nur mit geringen
Einschränkungen“ weiterzuleben, stieß auf unserer Seite schon allein wegen der offenkundigen Inkaufnahme von
Schäden auf Widerspruch.
Die Realität
Bekanntlich wurde der Antrag an den Bundestag am 29. Januar 2019 von der Realität eingeholt. Der
Bundesgerichtshof (BGH) erkannte in zwei von uns erwirkten Grundsatzurteilen an, dass Organlebendspender einen
Anspruch auf umfassende Risikoaufklärung haben, da man potenzielle Spender auf Grund der Gefahren „vor sich
selbst schützen“ müsse. Diese Urteile stehen nach unserer Auffassung im Widerspruch zur Aufweichung der
Organlebendspenderegeln.
Pressemeldung BGH – 29.01.2019
Die Anfrage
Im Juli 2020 hat die FDP-Fraktion eine „Kleine Anfrage“ bei der Bunderegierung gestellt, um deren Position zur
Debatte zur Organlebendspende zu erfahren.
Drucksache 19/21187 – 22.07.2020
Für die Bundesregierung antwortet im August 2020 das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und zeigt sich
offen für eine Debatte: „Die Frage einer möglichen Änderung der Regelungen zur Organlebendspende in
Deutschland setzt daher eine sorgfältige Prüfung und Diskussion unter Berücksichtigung unterschiedlicher Aspekte
voraus. Dazu gehören insbesondere eine umfangreiche fachliche Aufbereitung der Thematik, eine sorgfältige
ethische Abwägung sowie letztlich auch eine breite politische und gesellschaftliche Debatte.“
Drucksache 19/21495 – 05.08.2020
Das Symposium
Tatsächlich war bereits für Juli 2020 ein Symposium unter Leitung des BMG zum Thema geplant, welches dann aber
wegen der Corona-Krise auf 2021 verschoben wurde. Am 29. Juni 2021 wurde dann das Symposium digital als
Video-Konferenz durchgeführt.
Digitales Symposium des BMG – 29.06.2021
Auch unser 1. Vorsitzender Ralf Zietz wurde um einen Vortrag gebeten.
Vortrag Ralf Zietz
Sachlich und auf Fakten basierend erläuterte Ralf Zietz die erheblichen Risiken der Nierenlebendspende und
begründete so die ablehnende Haltung unseres Vereins gegenüber der Ausweitung der Organlebendspende.
Gleichzeitig wies er auf die psychosozialen Aspekte der Nierenlebendspende hin.
Ralf Zietz – Gesundheitsrisiko Nierenlebendspende
Zu seinem Vortrag gab es Zuspruch aber natürlich auch Widerspruch. So wurde seitens eines Vertreters der
kompletten Freigabe der Organlebendspende (Juraprofessor) die „ethisch und rechtlich wirren Forderungen“ nach
weiterer rechtlicher Begrenzung stark kritisiert, weil so weiterer „Schaden“ angerichtet würde. Die Antwort darauf
lesen Sie hier:
Antwort Ralf Zietz an Juraprofessor
Resümee: Juristische Denkmodelle sind oft weit entfernt von der Lebensrealität.
Vortrag Martin Wittke
Unser Beirat Herr Rechtsanwalt Martin Wittke wies in seinem Vortrag als Fachanwalt für Sozialrecht auf den nach wie
vor unzureichenden Unfallversicherungsschutz, sowie die skandalösen Abwehrhaltung der Unfallkassen bei der
Bearbeitung von Schäden nach Organlebendspenden hin. Er schlug daher konkrete Nachbesserungen bei der
Gestaltung des §12a SGB VII vor.
Martin Wittke - Spenderschutz nach dem SGB VII – Anspruch und Wirklichkeit
Das Presseecho
Über die Veranstaltung gab es einige Presseberichte, die wir hier nochmals bereitstellen:
Ärzteblatt – Die Debatte ist angestoßen – 12.07.2021
Bioskop – Ausweiten oder Einschränken – 09.2021
Ärztezeitung – Lebendorganspende: Zurück auf los? – 18.10.2021
Bemerkenswert sind einige Aussagen von Ärzten in diesen Berichten. Herr Prof. Viebahn aus Bochum meinte
gegenüber der Bioskop, dass das BGH-Urteil den Eindruck verstärken würde, dass „unsorgfältige Beutelschneider“
zu Werke gehen. Es hätte aber schon immer ein Standard „höchster Sorgfalt“ gegolten. Leider können wir aus
unserer Beratungs- und Betreuungspraxis dies so verallgemeinert nicht bestätigen. Es scheint, dass sich ein Teil der
Transplantationsmediziner durch das für Spender so wichtige Urteil „gekränkt“ sieht und noch immer nicht verstanden
hat, um was es bei der Organlebendspende geht: Um die Sicherheit des Spenders!
Realistisch und selbstreflektiert hingegen lesen sich die Aussagen von Herrn Prof. Banas (Regensburg) gegenüber dem
Ärzteblatt: „Derzeit muss man daran zweifeln, ob man Lebendspenden überhaupt noch ärztlich verantworten kann.“ Und
weiter: „Mittlerweile gibt es Belege für weitere Risiken. Es bleibt unklar, ob Spender und Ärzte solche Risiken
bewusst eingehen dürfen.“ Mit seinem Apell u. a. an den Gesetzgeber, endlich für einheitliche Aufklärungsstandards
zu sorgen, folgt er nunmehr einer unserer Forderungen. Hier zeigt sich, dass unsere jahrelange Öffentlichkeitsarbeit,
sowie die von uns unterstützten Gerichtsverfahren Wirkung zeigen.
Tagungsband veröffentlicht
Das BMG hat einen Tagungsband zum Symposium veröffentlicht, der eine Kurzzusammenfassung aller Vorträge
enthält. Dieser Tagungsband kann hier heruntergeladen werden.
Tagungsband Symposium
Die Zwischenbilanz
Wir befinden uns also mitten in der Diskussion um die Organlebendspende. Unsere Aufgabe als Interessenvertretung
ehemaliger und zukünftiger Nierenlebendspender ist auch in Zukunft für deren Sicherheit und Absicherung zu kämpfen.
Dazu gehört auch das unbedingte Festhalten an den bestehenden gesetzlichen Einschränkungen zur Organlebendspende
bzw. sogar eine Ausweitung der Beschränkungen als Gesundheitsschutz für Organlebendspender.
Denn wir sagen:
Spende aus Liebe, aber mit Verstand!